Das Fundament der Stadt

Die Stadt bestand nicht aus Ziegeln, sondern aus Satzfetzen und getrockneter Tinte. Jeder war ein Manuskript, das herumlief.

Alles beginnt mit einem einzigen, heißen Gedanken. Man serviert ihn in einer Tasse, und sein Dampf steigt als umformulierte Idee auf. Einer bietet ihn an, der andere empfängt ihn. Ihre Nasen sind lang, geschärft für das Wittern einer neuen Pointe. Die Worte, die sie austauschen, sind noch keine Architektur, nur Kritzeleien an der Wand der Gegenwart.

Doch kein Gedanke bleibt lange allein. Er spaltet sich in eine Frage und eine Behauptung. Die beiden sitzen nun getrennt, jeder auf seiner Seite des Arguments, und errichten sich aus dem reinen Widerspruch ihre eigenen Podeste. Die Stadt wächst zwischen ihnen, genährt von der Spannung ihrer gestikulierenden Hände und dem Raum, den ihre Debatte einfordert.

Was vom Streit übrig bleibt, wird aufgeschrieben. Die hitzigen Gesten werden zu stillen Buchstaben, die Debatte wird zur Geschichte. Die Männer und Frauen, nun alt geworden durch das Gewicht ihrer eigenen Worte, verteilen sich in der Stadt, die sie erschaffen haben. Jeder für sich, auf seiner eigenen Stufe der Erzählung, lesen sie, was sie einst waren. Sie studieren die Tinte, die längst getrocknet ist.

Und was gelesen wurde, wird zu Wein. Am Ende sitzen sie alle am selben Tisch, der aus den verdichteten Seiten ihrer Bücher gezimmert ist. Die einzelnen Manuskripte verschmelzen zu einer gemeinsamen Bibliothek. Sie sprechen nicht mehr. Sie trinken nur noch auf die Kritzeleien an den Wänden, die sie gemeinsam erschaffen haben und die nun ihr Fundament, ihre Mauern und ihr Himmel sind.

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